Monatsgespräch

 

Thomas Wyss

 

Leiter Einkauf

 

Seit 2008 bei Müller AG Verpackungen
Seit 2009 in der Geschäftsleitung

 

 

«Die Einkaufsarbeit hat in den letzten beiden Jahren intern an Stellenwert und Achtung gewonnen»

 

Es ist schon unheimlich, wie abhängig wir heute vom weltweiten Handel sind. Handys, Autos, elektronische Geräte aller Art – nichts funktioniert mehr reibungslos, wenn es Lieferprobleme gibt. Im Monatsgespräch Oktober beleuchten wir mit Chefeinkäufer Thomas Wyss (56) die diesbezügliche Situation bei Müller Packaging.

 

 

Herr Wyss, immer wieder hört man, dass aktuell die Weltwirtschaft stottert, weil die Lieferketten sehr anfällig sind und Unternehmen nicht wie früher alle Produkte und Betriebsmittel zeitnah beschaffen können. Ist das bei Müller Packaging auch so?

Das betrifft uns genauso, sei es direkt oder indirekt, weil Lieferanten ihre Rohstoffe nicht oder nicht rechtzeitig bekommen. Die über Jahren eingespielten Lieferzeiten und Verfügbarkeit galten von einem Monat auf den anderen nicht mehr. Das hat dazu geführt, dass eine Versorgungslücke aufging. Dies wiederum hat viele Bedarfsträger verleitet, Hamsterkäufe zu tätigen, was die Situation noch mehr dramatisiert hat. Das hat die Nachfrage nach Produkte künstlich erhöht, obwohl dafür eigentlich kein realer Bedarf bestand.

 

Wie haben Sie reagiert, als die eingespielten Lieferzeiten und Verfügbarkeiten plötzlich nicht mehr gegeben waren?

Bei Müller Packaging betreiben wir schon immer eine konservative Lagerbewirtschaftung. Wir haben ein konstant gut gefülltes Lager, um natürliche Marktschwankungen, die es immer schon gegeben hat, abfedern zu können. Damit konnten wir anfangs 2021 – nach Ausbruch von Covid19 – die ersten Versorgungslücken abfedern und unsere Kunden wie gewohnt weiterhin beliefern. Einigen von unseren guten Kunden konnten wir sogar aushelfen, wenn einer ihrer anderen Lieferanten aus Materialmangel nicht liefern konnte.

 

Kann man schlussfolgern, dass die Corona-Pandemie den globalen Lieferketten in den letzten zwei Jahren massiv zugesetzt hat und nun der Ukraine-Krieg den weltweiten Warenhandel zusätzlich torpediert – oder gibt es noch weitere Gründe?

Das kann man so sagen. Vor allem China hat mit ihrer Null-Covid19-Strategie und den unverhältnismässigen Lock Downs, die weltweiten Warenflüsse am stärksten beeinflusst. Ich sehe aber noch einen weiteren Grund: Bereits ein paar Jahre vor Corona, als die «Greta Thunberg-Welle» hochschwappte, wurden alte Frachtschiffe mit grossen Schadstoffausstoss verschrottet und nicht durch neue ersetzt. Die fehlen bis heute. So gibt es in der Seefracht eingeschränkte Kapazitäten. Das hat dazu geführt, dass sich die Frachtkosten im Überseebereich in den letzten zwei Jahren teilweise mehr als verdoppelt haben und dass die globalen Warenflüsse nicht mehr rund laufen.

 

Unternehmen stehen derzeit von zwei Seiten unter Druck: Sie bekommen selbst weniger Vorprodukte oder nur zu sehr hohen Preisen. Zugleich können sie die Kostensteigerungen nur teilweise an ihre Kunden weitergeben und selbst wegen der Verzögerungen in der eigenen Lieferkette immer schlechter liefern. Wie ist das bei Müller Packaging?

Mittlerweilen haben sich die Lieferzeiten auf vielen Produkten etwas normalisiert und die Verfügbarkeit leicht verbessert. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass von einer auf die andere Woche Produkte und Branchen Lieferschwierigkeiten bekommen, von denen man es vorher nie für möglich gehalten hätte. Der Markt bringt fast wöchentlich neue Hiobsbotschaften hervor. So wie ich die Situation aktuell einschätze, wird sich an dieser volatilen Situation in absehbarer Zeit auch nichts ändern.

 

Wie beurteilen Sie die Lieferketten von Müller Packaging aktuell? Bei welchem Rohmaterial, bei welchen Halbteilen und bei welchen Betriebsmitteln stellen sich für Müller Packaging aktuell die grössten Herausforderungen?

Wir pflegen mit den meisten unseren Lieferanten seit Jahren eine partnerschaftliche Geschäftsbeziehung. D. h. wir tauschen uns aus, begegnen uns auf Augenhöhe, diskutieren Herausforderungen offen und suchen gemeinsam nach Lösungen. Das hat sich im schwierigen Marktumfeld der letzten Jahre ausbezahlt: Wir erhalten frühzeitig wichtige Informationen, die es uns erlauben, die entsprechenden Massnahmen einzuleiten. Wir können uns so mit kurzen Reaktionszeiten auf neue Situationen einstellen und Lösungen suchen. Das ist unbezahlbar.

 

Ist es richtig, dass für den Einkauf von Müller Packaging der Stahleinkauf am wichtigsten ist?

Das ist richtig, Stahl ist in unserem Einkaufsportfolio der grösste Kostenblock. Das liegt auf der Hand, denn unsere Fässer bestehen grösstenteils aus Stahl.

 

Gibt es auch beim Stahl Lieferengpässe? Oder anders gefragt: Was sind derzeit für Sie bei der Stahlbeschaffung die grössten Herausforderungen?

Die Verfügbarkeit von Stahl hat sich weitgehendst normalisiert. Was uns Sorge bereitet, sind die Preisschwankungen in den letzten anderthalb Jahren. Wie vorhin erwähnt, führen wir eine konservative Lagerhaltung mit stets guten Sicherheitsbeständen. Das hat bei einem schnellen Preisrückgang zur Folge, dass ein erheblicher Wertverlust unserer Lagerware stattfindet. Das ist das grosse Risiko das wir tragen, damit wir unseren Kunden die Liefermenge an Fässer garantieren können.

 

Woher bezieht Müller Packaging ihren Stahl?

Vorwiegend aus Europa. Nicht aus der Ukraine oder aus Russland.

 

Wie kommt er nach Münchenstein und Reiden?

Der grösste Teil kommt mit dem Binnenschiff nach Basel und wir dann auf die Bahn umgeladen. Der Rest wir vom Stahlwerk oder Servicecenter per LKW angeliefert.

 

Neben Lieferengpässen gibt es in den Lieferketten auch noch ein anderes spannendes Thema: die Nachhaltigkeit der Produkte. Ist es möglich, in ein paar Jahren klimafreundlichen Stahl zu beziehen?

Die Branche ist daran, alternative Prozesse zu prüfen, die fast kein CO2 entstehen lassen. Das wird aber ein paar Jahrzehnte brauchen, bis dies vollständig etabliert ist. Für den Übergang werden Lösungen entwickelt, um bei der Stahlproduktion entstehendes CO2 zu recyceln. In den kommenden Jahrzehnten stellen die grossen Stahlwerke auf Direktreduktionsanlagen um, die mittelfristig mit Wasserstoff betrieben werden. Dabei wird Eisenerz mithilfe von Wasserstoff zu Eisen reduziert. Das anschliessende Einschmelzen funktioniert mit regenerativ hergestelltem Strom. Die dabei entstehenden CO2-Emissionen sind dann zu vernachlässigen. Es tut sich also was, aber die Umstellungen in der Produktion benötigen Zeit.

Gibt es im Einkauf von Müller Packaging Strategien, Rohmaterial, Halbteile und Betriebsmitteln für die Produktion wieder vermehrt an Lager zu nehmen und vom «Just in time»-Konzept abzuweichen? Falls ja, bei welchen Gütern?

Müller Packaging hat nur noch wenige Produkte, die «just in time» angeliefert werden. Am ehesten noch bei Standardprodukten wie Paletten, Verpackungsmaterialien oder sonstigem Verbrauchsmaterial. Aber selbst dort arbeiten wir immer mehr mit Rahmenvereinbarungen, um die Ware zu reservieren oder ab Lager zu beziehen, um Versorgungslücken zu minimieren. Für unsere Einkaufsarbeit ist es wichtig, dass wir die Bedarfsmengen, die Produktespezifikationen und den Beschaffungsmarkt der einzelnen Produktegruppen und Produkte sehr gut kennen. Nur so sind wir in der Lage, weitsichtig zu planen und zu handeln.

 

Kann ein Unternehmen ihre Lieferketten optimieren, in dem es Zweitlieferanten pflegt? Oder haben auch diese mit den globalen Auswirkungen in den Lieferketten zu kämpfen?

Das ist so. Müller Packaging hat für alle Schlüsselprodukte mindestens zwei Lieferanten, meistens mehr. Das hilft wenn es gilt, einen Produktionsausfall eines Lieferanten kurzfristig zu überbrücken. Aktuell sind jedoch oft mehrere Lieferanten mit Rohstoff- und Materiallieferengpässen konfrontiert. Da greift auch das Prinzip mit Zweit- und Drittlieferanten nicht mehr vollständig. Entlang der ganzen vielschichtigen Produktions- und Lieferketten können im Moment Kettenglieder wegbrechen. Wir müssen da im Einkauf sehr wachsam sein.

 

Führt Müller Packaging ein Monitoring seiner Lieferketten durch? Kennt Müller Packaging das Leistungsvermögen und die Schwachstellen seiner Lieferanten auf allen Zulieferebenen?

Müller Packaging ist ein mittelständischer Betrieb und um Audits durchzuführen bei einem Grossbetrieb, wie beispielsweise einem Stahlwerk oder sonst einen grossen Konzern, einfach zu klein. Wir besuchen unsere Lieferanten jedoch regelmässig um zu erfahren, mit welchen Herausforderungen sie aktuell zu kämpfen haben und die uns eventuell tangieren können. Ein Lieferantenbesuch verfolgt das Ziel, die gegenseitige Wertschätzung und den Informationsaustausch zu fördern, was ich genauso wichtig und wertvoll erachte wie einen Auditbericht.

 

Wie bleiben Sie, als Leiter Einkauf, über die globale Weltwirtschaft mit ihren tief verflochtenen Lieferketten, über aktuelle Entwicklungen und Trends informiert?

Das ist eine sehr gute Frage. Informationen gibt es ja so viele, auch wegen dem Internet. Mir ist wichtig, die grossen Zusammenhänge und die Abhängigkeiten und Auswirkungen für Müller Packaging zu erfassen. Dafür helfen mir Lieferanteninformationen, Nachrichten von Wirtschaftsverbänden und Inputs von unserem Verkauf, wenn sie bei Kunden oder am Markt auf interessante Neuigkeiten stossen.

 

Was bereitet Ihnen besondere Freude an Ihrem Job?

Kein Tag ist wie der andere. Abwechslung ist grossgeschrieben. Das entspricht mir sehr. Die Einkaufsarbeit ist spannend. Immer wieder gibt es neue interne Anforderungen, ständig gibt es neue Erkenntnisse durch die wechselnden Marktsituationen. Und nicht zuletzt ist es eine grosse Genugtuung, mit unserer Einkaufsarbeit einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg beizusteuern.

 

Oft ist es so, dass die verschiedenen Funktionen in einem Unternehmen den Hauptanteil am Unternehmenserfolg für sich beanspruchen. Welchen Prozentanteil hat der Einkauf Ihrer Meinung nach am Unternehmenserfolg von Müller Packaging?

Sicher trägt jede Abteilung und Funktion bei Müller Packaging zum Unternehmenserfolg bei. Nur wenn das Zusammenspiel der einzelnen Abteilungen und Funktionen stimmt, kann ein Unternehmen erfolgreich sein. Ich bin überzeugt, dass die Einkaufsarbeit in den letzten beiden Jahren intern an Stellenwert und Achtung gewonnen hat. Denn die Versorgungsschwierigkeiten in den letzten beiden Jahren haben gezeigt, wie wichtig ein gut aufgestellter Einkauf ist, mit Personen, die Produkte, Lieferanten und die Märkte kennen. Wir können für uns beanspruchen, die bestmögliche Versorgungssicherheit für Müller Packaging gewährleistet zu haben.

 

Müller Packaging feiert in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie?

125 Jahre. Das ist eine lange Zeit für einen produzierenden Betrieb in der Nordwestschweiz. Da wurde vieles richtiggemacht. Vor allem wurde zu den Mitarbeitenden geschaut, was mir sehr gefällt. Ich bin stolz, in diesem erfolgreichen Unternehmen einen wichtigen Job gut zu erfüllen. In meinen 14 Jahren bei Müller Packaging habe ich die Führungsmannschaft, die Mitarbeitenden und die Besitzerfamilie Müller als bodenständig kennengelernt. Hier wird langfristig gedacht, umsichtig agiert, regelmässig investiert. So können Unternehmensziele langfristig verfolgt und beharrlich umgesetzt werden. Das gibt uns Abteilungsleitern eine Sicherheit und das Arbeiten macht so auch mehr Spass als wenn alle paar Jahre die Unternehmungsführung die Unternehmungsstrategie abändert, um kurzfristig die Aktionäre bei Laune zu halten.

 

Zum Abschluss möchten wir noch einen Bogen zu Ihrer Freizeit schlagen. Sie sind aktiver Fahrradfahrer, «quälen» sich in den Ferien und an den Wochenenden über die höchsten Höhen und die herausforderndsten Steigungen. Dafür muss man «beissen» können und einen langen Atem haben. Helfen Ihnen diese Eigenschaften ab und an auch im Berufsalltag? Falls ja, in welchen Situationen?

Wie bei jeder Führungsaufgabe gibt es auch im Einkauf Problemstellungen, Herausforderungen, die zu meistern sind. Um diese aufzulösen ist ein langer Atem mitunter von Vorteil. Aber auch der Sprint ist wichtig, wenn es darum geht, rasch und auf den Punkt genau zu reagieren, wenn sich in den Beschaffungsmärkten Chancen ergeben resp. wenn auf Lieferengpässe reagiert werden muss. Durch meine sportlichen Aktivitäten bin ich ein sehr ausgeglichener Mensch. Mich bringt nicht so schnell was aus der Ruhe. So kann ich Herausforderungen mit einer gewissen Gelassenheit begegnen. Denn es gibt immer einen Weg, die Herausforderung zu meistern.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wyss.