Der Geschichte auf der Spur

 

Karl Müller

 

1887-1950


Zweite Müller-Generation

 

 

Lehrer, Menschenfreund und Rückhalt in turbulenten Zeiten

 

Er war sich seiner Rolle als Nummer zwei hinter Ernst bewusst, als er 1922 in den Familienbetrieb einstieg. Karl Müller blühte in seiner Funktion als Kaufmännischer Leiter auf, schaute umsichtig auf das Personal und die Finanzen. Er war stets da, wenn er gebraucht wurde. Und er war rundum geschätzt: bei den Arbeitern, bei den Kunden ... und bei Ernst Müller. Zusammen haben sie die Müller Blechwaren am Standort Münchenstein vorangebracht und auch durch schwierige Zeiten gesteuert.

Dass er dereinst einmal Blechwarenfabrikant werden würde, hat sich Karl Müller wohl kaum gedacht, als er nach abgeschlossener kaufmännischer Lehre im Gymnasium Schiers die Maturität besteht, in der Folge den Lehrerberuf ergreift und sich 1920 an der Knabenrealschule Basel anstellen lässt. 1922 nimmt seine Vita diesbezüglich die entscheidende Richtungsänderung. Sein Bruder Ernst, der sich zukünftig vor allem um den technischen Bereich kümmern möchte, holt ihn als kaufmännischen Leiter der Blechwarenfabrik an den neuen Firmenstandort nach Münchenstein. Karl spürt, dass ihn der Familienbetrieb braucht. Einfach fällt es ihm aber nicht, den Lehrerberuf an den Nagel zu hängen.

Karl pflegt von Anfang an ein intensives Verhältnis zu den Arbeitern und Angestellten. Ihm ist wichtig, dass es der Belegschaft gut geht. Darum fragt er nach, ist präsent und nahe an den Mitarbeitenden. Ihren Stellenwert kennt er und er weiss, dass sie das Rückgrat des Unternehmenserfolges sind. So ist Karl der Treiber hinter der firmeneigenen Alters- und Hinterbliebenen-Vorsorge, die im Zuge der Bildung einer Aktiengesellschaft 1936 aufgebaut wird. 1943 ist er auch federführend bei der Einrichtung eines Wohlfahrtsfonds für die Angestellten.

Auch die Kundenkontakte pflegt er auf Augenhöhe. Er ist nicht nur am Geschäftsmann interessiert, mit dem er zu tun hat, sondern auch am Menschen dahinter. So fördert er überall das Zwischenmenschliche, hat immer ein offenes Ohr für Anliegen und Wünsche. Als guter Zuhörer spürt er auch die Zwischentöne. Für die regionale Bildungslandschaft ist eine starke Lehrperson verloren gegangen. Die Müller Blechwarenfabrik hat eine grosse Persönlichkeit gewonnen, die sich gut in der Rolle hinter dem «primus inter pares», Ernst Müller, positionieren konnte.

1939 – mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – ist der kaufmännische Leiter Karl Müller gefordert. Zum einen sind die Grenzen geschlossen und die Rohstoffversorgung wird zum Problem. Zum andern nimmt die Konkurrenz zu. Es sind schwierige Zeiten in den Krisenjahren und die Kapazitäten nicht ausgelastet.

 

In einem Geschäftsbericht eines der Kriegsjahre ist die Situation eindrücklich umschrieben: «Das abgelaufene Jahr war gekennzeichnet durch die mangelnde Zufuhr an Rohmaterial, insbesondere an dem für uns wichtigen, den Feinblechen. Unser Lager war zum grössten Teil aufgebraucht und unsere Lieferanten waren nicht imstande uns zu bedienen, ausser mit geringen Quantitäten. Es lag uns aber alles daran, unseren Betrieb weiter zu führen und unser angestammtes Personal weiter zu beschäftigen. Um dies zu ermöglichen, schreckten wir vor der Umarbeitung von Altmaterial nicht zurück, welches wir durch das Auswalzen alter Ölfassmäntel gewannen. Freilich konnte dieses Material aus Qualitätsgründen nur für wenige unserer Fabrikationsartikel in Frage kommen. Zudem stellte es sich im Preise sehr hoch heraus, da viel Zeit auf das Reinigen der Fässer und das Auswalzen verwendet werden musste. Etwas Auftrieb brachten einige Lieferungen von Blechen schweizerischer Provenienz von Selve in Thun und von den Metallwerken in Dornach. Dieses Material wies leider zwei unangenehme Eigenschaften auf: die schlechte Qualität und der äusserst hohe Preis. Für unsere Blechemballagen kamen sie nur sehr begrenzt in Frage, da sie nicht schweissbar waren. Für Ofenrohre und ähnliche Produkte dagegen konnten sie zur Not genügen. … Ein weiterer empfindlicher Nachteil war das durch die Mobilisation verursachte Fehlen eines grossen Teils unserer Leute. Der Rückgang des Umsatzes war unter den erwähnten Umständen nicht zu vermeiden».

 

Als Bruder Ernst 1944 stirbt, steht Karl Müller der Firma alleine als operativer Leiter und Verwaltungsratspräsident vor. Seine jungen Neffen Ruedi (19) und Hans (17) sind noch zu jung, um in die Firma einzusteigen. Mit Prokurist Paul Hof hat er aber einen loyalen und tatkräftigen Mann zur Seite. Das kommt vor allem ein paar Jahre später zum Tragen, als Karl 1950 an Herzversagen stirbt. Da kommt Paul Hof die für das Fortbestehen der Müller-Firma wichtige Rolle zu, die jungen Müllers der dritten Generation – Rudolf und Hans – an die Unternehmensführung heranzuführen.

 

 

Statistik-Poster im Müller-Archiv

 

Auf einer grossen Papierrolle mit Millimeterpapier sind verschiedene Kennzahlen der Müller Blechwarenfabrik eingetragen. So ging Excel früher.

  • Neben der Zeitachse sind auch die Periode des Zweiten Weltkrieges und die Todesjahre von Ernst und Karl Müller eingetragen.
  • Die rote Linie zeigt die Gesamtumsatzentwicklung, die gelbe die Anzahl der Arbeiter, die grüne Linie zeigt die Lohnsumme und die blaue Linie, die Salärsumme.
  • In der Lohnsumme fliessen die Arbeiterlöhne ein, die tatsächlich stundenmässig geleistet worden sind. Sie können demnach monatlich variieren.
  • In der Salärsumme sind die fest vereinbarten monatlichen Entgelte enthalten.

 

 

 

Die Lohnabrechnung am Freitag, den 26. August 1932

 

Handarbeit auch in der Erfassung und Berechnung der Lohnsummen. Die manuelle Buchführung - heutzutage in KMU nicht mehr vorstellbar - erhält mit der schön geschwungenen Schrift und der exakten Schreibweise etwas Künstlerisches.